Rabindranath Tagore
Poems translated from Bengali to German by Martin Kämpchen
Shāh-Jāhān
Eines wuβtest du, Gebieter Indiens, Shāh-Jāhān:
Leben, Jugend, Reichtum, Ehre
treiben in der Strömung der Zeit davon.
Dein einziges Streben war es darum,
das Leid deines Herzens unsterblich zu machen.
Mag des Königs Stärke, streng wie Donner,
in Schlummer sinken
wie das Abendrot in die Nacht;
ein tiefer Klagelaut
soll nur ewig schwingend
den Himmel mit Trauer füllen,
das war deine Sehnsucht.
Der Überfluβ von Perlen, Rubinen, Diamanten
ist wie die Zauberfarben
des Regenbogens über dem weiten Horizont;
mag er schwinden –
doch bleiben soll die
eine Träne auf der Wange der Zeit,
weiβ und glänzend hell:
dieser Tāj Mahal.
O Menschenherz,
keine Zeit hast du,
wieder und wieder
auf jemand zurückzublicken,
keine Zeit.
Ständig drängt dich des Lebens rasche Flut
von Landeplatz zu Landeplatz
und Wochenmarkt zu Wochenmarkt;
an einem lädst du auf, am andern lädst du ab.
In deinen Gärten verlockt der wispernde Südwind
auf einmal die Frühlingsblüten der Mādhabī,
aufblühend deinen bebenden Schoβ
zu füllen –
kommt die Dämmerung: zerrissen
die Blütenblätter, im Staub zerstreut.
Keine Zeit!
Sobald die taubedeckten Nächte kommen,
treibst du die kunda-Blumen deines Hains
in die Blüte, um mit Freudentränen
den Korb des Herbstes zu füllen.
Ach Herz,
was du gesammelt:
sind Tag und Nacht vorbei, muβ es doch
fallen und verloren gehen.
Keine Zeit, zurückzublicken,
keine Zeit, keine Zeit.
Du Herrscher, dein gequältes Herz hat versucht,
die Zeit zu bezaubern
durch die Betörung der Schönheit.
Um den Nacken des Todes den Kranz: Wie herrlich
hast du ihn, den Ungestaltigen,
mit unsterblicher Schönheit geschmückt!
Unmöglich,
ewig zu trauern;
darum hast du dein rastloses Weinen
ins Netz immerwährenden Schweigens gezwungen.
Bei Mondschein hast du
der Geliebten in verschwiegenen Kammern
Kosenamen zugeflüstert – diesem vertrauten Wispern
lauscht hier
das Ohr der Ewigkeit.
Die wehmütige Zartheit der Liebe ist
– wie eine Fülle von Blumen so schön! –
in den stummen Steinen aufgeblüht.
Du königlicher Dichter,
dies ist das Abbild deines Herzens,
dies dein neues „Meghdūt“,
das sich in gewaltig-wundersamen Rhythmen
und Melodienbögen
hin zum Unsichtbaren
aufschwingt:
wo deine vereinsamte Geliebte
verwoben bleibt
mit dem fahlen Licht des frühen Morgens
und dem Klagen des matten Abendhimmels
und der Anmut der im Vollmond verklärten
cāmelī-Blüten;
wohin keine Sprache dringt,
von wo sehnsüchtig spähende Augen umkehren.
Diese Schönheit trägt durch alle Zeitalter,
den Wachtposten der Zeit ausweichend,
die eine wortlose Botschaft:
„Dich vergeβ ich nicht, Geliebte,
ich vergeβ dich nicht!“
Du lebst nicht mehr, Geliebter;
wie ein Traum ist dein Reich verschwunden,
dein Thron zerborsten;
der Marschschritt deines Heers
schüttelte die Erde –
die Erinnerung an ihn ist jetzt wie der Wind,
der Delhis Straβenstaub aufwirbelt.
Die Hofsänger intonieren keine Lieder,
das Festorchester mischt seine Melodien
nicht mehr mit den Wellen der Yamunā.
Die Fuβketten der Frauen klingen nicht länger
in deinem Palast,
aus dessen verfallnen Ecken
das Klagegeschrei der Zikaden den Nachthimmel
füllt.
Dein Bote jedoch ist makellos geblieben,
ewig wacht er;
erhaben über Aufstieg und Niedergang von Reichen,
erhaben über Auf und Ab von Leben und Tod,
verkündet er
von Epoche zu Epoche
standhaft dies Wort des ewig Getrennten:
„Dich vergeβ ich nicht, Geliebte,
ich vergeβ dich nicht!“
Lügen! Wer sagt, du hast nicht vergessen?
Wer sagt, du hast den Käfig
der Erinnerung nicht geöffnet?
Hält dein Herz das immer tiefer sinkende Dunkel
der Geschichte jetzt noch gebannt?
Ist es auch jetzt noch nicht in die Freiheit
des Vergessens entflohen?
Grabstätten bleiben reglos, wo sie sind, mitten
im Staub dieser Welt,
unterm Erinnerungsschleier bleibt der Tod
behutsam verwahrt.
Wer kann das Leben verwahren!
Jeder Stern am Himmel spornt es an.
Jeder Himmelsort, das Licht jedes neuen
Morgens ruft das Leben zu sich.
Den Knoten der Erinnerung
durchschneidend, eilt es fort
auf Erdenwegen, ungebunden.
König, kein Königreich kann je
dich fassen!
Die von Meeren umspülte Erde erfüllt dich,
Groβer! nicht.
Darum wirfst du diese Welt
– wenn dieses Lebensfest sich neigt –
wie einen irdnen Becher
von dir.
Du bist gröβer als dein Ruhm;
das Leben schreitet darum voran und
läβt immer wieder deinen Ruhm
hinter sich zurück:
Deine Spur bleibt – du bist nicht mehr.
Diese Liebe, unbewegt und
nichts bewegend,
hat mitten auf dem Pfad
ihren Thron gebaut:
ihr Geplauder, ihre Spiele kleben
an deinem Fuβ wie Straβenstaub –
du hast ihn abgeschüttelt, zurück zum Staub.
In diesem Staub hat dein Herz
ein Samenkorn gewebt
das vom Kranz deines Lebens gefallen war.
Du bist weit vorangeschritten –
doch ist aus diesem Samen
ein unsterblicher Sproβ
bis zu den Wolken emporgstiegen, um
feierlich dies Lied zu künden:
„So fern ich auch blicke,
dieser Wandrer ist nicht da,
nicht mehr da.
Die Geliebte hat ihn nicht zurückgehalten,
sein Königreich hat ihn freigegeben,
weder Meere noch Berge konnten ihn binden.
Heute zieht sein Gefährt
bei Sternengesang
im Sog der Nacht
dem Anbruch des Morgens entgegen.
Also bleib ich
und trage die Last des Erinnerns.
Der Lastbefreite ist nicht länger hier.“
śā-jāhān, from balākā (1916)